Donnerstag, 23. Oktober 2008

Gastbeitrag

Im Beitrag Asche aufs Haupt schrieb ich in einer Fußnote: Man könnte sich fragen, warum Darwins Selektionstheorie eigentlich nicht auf Politik und Soziologie angewendet werden sollte , wenn andererseits nichts in den Geisteswissenschaften Sinn ergibt, außer im Lichte der Biologie.

Zu diesem Thema hat Josef Bordat einen Gastbeitrag verfasst, für den ich ihm sehr danke.

Josef Bordat
Darwinismus und Sozialstaat


Charles Darwin war - entgegen anderslautender Beteuerungen - „Sozialdarwinist“ (Bauer 2008: S. 16), weil er sein Prinzip der Evolution (Entwicklung als Ergebnis von Auswahl und Anpassungsleistung in einer Situation der Konkurrenz) auch auf die menschliche Gesellschaft übertrug. So schrieb er: „Wie jedes andere Tier, so ist auch der Mensch ohne Zweifel auf seinen gegenwärtigen hohen Zustand durch einen Kampf um die Existenz in Folge seiner rapiden Vervielfältigung gelangt.“ (1871: S. 700). Nach dieser Beschreibung folgt die Forderung: „Und wenn er noch höher fortschreiten soll, so muss er einem heftigen Kampfe ausgesetzt bleiben.“ (2005 [1871]: S. 700). Wie „jedes andere Tier“ muss sich der Mensch also im „Kampf“ gegen seinesgleichen behaupten, damit sich die Menschheit entwickeln kann.

Wie passt da der auf Solidarität ausgelegte Sozialstaat hinein? Äußerst schlecht, wie schon Darwin selbst feststellte. So kritisierte er ihn als gegen den Selektionsmechanismus gerichtetes Übel (2005 [1871]: S. 148), eine Einschätzung, die Richard Dawkins teilt (2004 [1976]: S. 198), auch wenn er stets beteuert, selbst nicht in einer Gesellschaft, die nach darwinistischen Spielregeln funktioniert, leben zu wollen, weil diese faschistisch sei (Die Presse, 30.7.2005; Frage: Wie kann sich eine Gesellschaft bloß von diesen Regeln befreien, wo ihre Mitglieder doch auf Gedeih und Verderb auf sie angewiesen sind? Sie sucht sich diese Regeln ja nicht aus, mehr noch: es gibt ja gar keine Alternative, wenn man - wie Dawkins - außerhalb der Evolution nichts für möglich hält, das normativ auf den Menschen durchschlagen könnte.).

Soweit die Biologen. Was machen die Wirtschaftswissenschaftler mit diesen Vorgaben? Sie nehmen sie dankbar auf, insbesondere dann, wenn ihnen als Berater des politischen Neoliberalismus’ der Sozialstaat sowieso ein Dorn im Auge ist. Der US-Ökonom Paul Krugmann, Wirtschafts-„Nobelpreis“träger 2008 und Liberalismus-Kritiker, schreibt, dass sich ein Lehrbuch der neoklassischen Mikroökonomie wie eine Einführung in die Mikrobiologie liest. Und der Wiener Wirtschaftswissenschaftler Ewald Walterskirchen wies auf den engen Zusammenhang zwischen dem heutigen Neoliberalismus in der Wirtschaft und dem Neodarwinismus in der Biologie hin: „Beide Theorien gehen davon aus, dass nur zufällige Veränderungen/Anpassungen über Selektion bzw. Wettbewerb den Entwicklungsprozess bestimmen.“ (Der Standard, 16./17.7.2005). Das Evolutionsprinzip wird auf den Markt übertragen. Solidarität wird nur dann eingefordert, wenn die „falschen“ Marktteilnehmer vom Aussterben bedroht sind. Das ist nicht erst seit der „Bankenkrise“ so.

In der Ökonomie zeigt sich die Nähe zur Biologie besonders in den Arbeiten Friedrich von Hayeks, der als einer der Väter des Neoliberalismus gilt. Walterskirchen: „Hayek, Spross einer Biologenfamilie, spricht explizit von ,Aussiebung’ durch den Markt. Hayek hält etwa eine hohe Arbeitslosenquote - analog zum Wert des Populationsüberschusses in der Tierwelt - für ökonomisch wünschenswert, damit die natürliche Selektion optimal greifen kann.“ (Der Standard, 16./17.7.2005). Im Klartext: Den angepasstesten Arbeitnehmer gibt es unter den Bedingungen extrem vieler Mitkonkurrenten. Wenn der Selektionsdruck nur hoch genug ist, passt sich das „Arbeitnehmertier“ an jede sich bietende Nische an. Walterskirchen sieht durch diese Logik den Sozialstaat bedroht: „Die OECD, der Hort des Neoliberalismus, interpretiert die wirtschaftliche Krise in Europa einfach als mangelnde Anpassungsfähigkeit an Schocks - ganz ähnlich wie die Neodarwinisten das Aussterben von Tierarten. Die wirtschaftspolitischen Schlussfolgerungen aus diesen Überlegungen sind klar: Die Wirtschaftspolitik braucht nur die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit der Selektionsmechanismus Markt richtig greifen kann. Im Klartext läuft dies darauf hinaus, das europäische Sozialmodell abzuschaffen.“ (Der Standard, 16./17.7.2005).

An diesen fatalen Zusammenhang von Liberalismus und Darwinismus erinnerte Christoph Kardinal Schönborn, Erzbischof von Wien, im Rahmen einer Katechese unter dem Titel „Schöpfung und Evolution: Warum diese Debatte so wichtig ist“ (Die Tagespost, 5.8.2006), in der er die Bildung als weiteren Aspekt in die Debatte hineinträgt: „Ein Grundparadigma von Bildung heute ist die Anpassung unter dem Aspekt der Nützlichkeit - vor allem für den Arbeitsmarkt. Schlüsselkompetenzen wie Mobilität und Flexibilität sind hoch im Kurs, vergessen die Grundlinien katholischer Soziallehre: Die Wirtschaft ist für den Menschen da - nicht umgekehrt; vergessen zum Teil die Grundaufgabe von Schule und Bildung, auch zu Widerständigkeit zu erziehen und zu bilden.“ (Die Tagespost, 5.8.2006). Diese Widerständigkeit braucht es wohl, um dem „mörderischen darwinistischen Albtraum“, wie Woody Allan das Leben einmal nannte, einen Sinn abzuringen, und an Quellen der Normativität zu glauben, die außerhalb des Evolutionsmechanimus’ liegen.

Literaturnachweis:

Bauer (2008): Das kooperative Gen. Abschied vom Darwinismus. Hamburg.
Darwin (2005 [1871]): Die Abstammung des Menschen. Paderborn.
Dawkins (2004 [1976]): Das egoistische Gen. Reinbek bei Hamburg.


Zum Autor:

Josef Bordat, geb. 1972, Studium des Wirtschaftsingenieurwesens (Dipl.-Ing.), der Soziologie und Philosophie (M.A.) in Berlin. Mitglied des Vorstands einer privaten Arbeitsvermittlung und Dozent. Promotion zum Dr. phil. Derzeit freier Publizist. Weitere Informationen: http://josefbordat.wordpress.com.

Donnerstag, 16. Oktober 2008

Wo ist das Fell hin?

Auch an sich unerfreuliche Diskussionen können manchmal interessante Fragen aufwerfen. So geschehen letzte Woche. Neben den üblichen Vorwürfen an Evolutionskritiker allgemein (u.a. Naivität und mangelnde Logik) und Aufzählung scheinbar nutzloser oder fehlkonzipierter Körperteile (Füße, Blinddarm, etc.) kamen auch Brustbehaarung und Fußnägel zur Sprache. Sie seien nur unter Voraussetzung einer realgenetischen Verwandtschaft mit anderen Säugetieren zu verstehen.

Die Geschichte der Wissenschaft zeigt eigentlich, dass gegebene Fakten oder Daten nie nur durch eine einzige Interpretation erklärt werden können, deshalb stellt sich die Frage, welche Schlüsse man aus der Existenz dieser biologischen Features ziehen kann. Unter Voraussetzung einer Abstammung von Primaten kann man sie als Rudimente von früher nützlichen Errungenschaften sehen: Ganzkörperfell und Krallen. Aber diese Interpretation ist auch mit vielen offenen Fragen verbunden. Wenn Fußnägel beispielsweise nutzlos wären, warum sind sie dann noch genauso ausgeprägt wie Fingernägel, die durch Stabilisierung beim Greifen sehr nützlich sind? Das wäre ein interessanter Aufhänger für Nachforschungen. Ich könnte mir vorstellen, dass auch sie die Extremitäten-Enden stabilisieren, was bei schnellerem Laufen oder tasten mit den Füßen nützlich sein könnte. (Wahrscheinlich waren sie gar nicht dafür geschaffen, die meiste Zeit des Tages in engen Schuhen zu stecken.) Auch die Restbehaarung hat Funktionen, wie Sensibilisierung der Haut, Herabsetzung der Reibung oder Kanalisierung von Schweißströmen. (Und sicherlich auch ästhetische. Kein Vogel baut sein Nest gern in einem kahlen Baum, heißt es in einem James-Bond-Film mit dem brusthaar-gesegneten Sean Connery ;)

Eine andere offene Frage ist: Warum sollten die Vorfahren des heutigen Menschen überhaupt ihre Ganzkörperbehaarung verloren haben? Solange das nicht plausibel geklärt ist, bleibt der Verweis auf rudimentäre Fellreste argumentativ eher schwach. Das Hauptproblem, mit dem die meisten Erklärungsversuche (wie Savannen- oder Wasseraffentheorie) kämpfen, ist die Einmaligkeit des Verlustes. Wäre Fellverlust ein Vorteil, wäre er auch anderen Säugern widerfahren. Da ein Fell jedoch große Vorteile wie Hitze- und Kälteschutz bietet, sind kaum Vorteile einer Nacktheit zu erdenken, die diese aufwiegen. Zumal wir uns ohne Bedeckung auch gar nicht wohl fühlen und uns die Felle unserer Mitsäuger leihen, bzw. auf andere Weise Fellersatz beschaffen.

Eine andere Merkwürdigkeit der menschlichen Behaarung ist, dass das Kopfhaar lebenslang wächst. Hätten wir keine Technik zum Kürzen der Haare, würden sie irgendwann auf dem Boden schleifen. Haben sich die Frühmenschen überlegt: ‚Ah, wir haben jetzt Messer, jetzt können wir unsere Kophaare wachsen lassen’? Seltsam ist auch, dass Männer kahlköpfig werden, während andere Säuger ihr Fell bis zum Tod behalten. (Wobei Evolutionsbefürworter hier sicher einwenden werden, dass wir wesentlich älter als die meisten Säuger werden.)

Eine Theorie, auf die ich in diversen Foren öfter gestoßen bin, ist die von Oscar Kiss Maerth in seinem Buch „Der Anfang war das Ende“ von 1971 dargelegte. Danach war Kannibalismus der ausschlaggebende Faktor der Menschwerdung. Primaten entdeckten nach Maerth, dass die Gehirne ihrer Artgenossen nach mehr schmeckten und eine verstärkte sexuelle Erregung hervorriefen. Der regelmäßige Hirnkonsum machte sie angeblich intelligenter, führte jedoch auch zu krankhaften Veränderungen wie eben dem unnormalen Haarwuchs und widersprüchliches Verhalten (z.b. Aggression gegen die eigenen Artgenossen, etc.) Das klingt so nihilistisch, dass es für einige sicher eine hohe Plausibilität besitzt. Seriöse Bestätigungen der Theorie findet man im Internet praktisch nicht. In der englischsprachigen wikipedia wird sein Buch pseudowissenschaftlich genannt, er habe die Idee dazu beim Genuss rohen Affenhirns in südostasiatischen Restaurants gehabt.

Der Fellverlust bleibt aus entwicklungsgeschichtlicher Sicht also mysteriös.

Samstag, 11. Oktober 2008

Der Kommentar des Tages

...wäre vielleicht eine interesante neue Kathegorie. Kam mir zumindest gestern in den Sinn, als ich den obligatorischen, wissenschaftlich verpackten 'Sex sells'-Aufmacher bei gmx/web.de mit entsprechenden Kommentaren dazu las: Frauen sprechen vor dem Eisprung mit höherer Stimme. Wie üblich wird in den ersten 50 Kommentaren über Sinn oder Unsinn solcher Studien debattiert, aber folgenden Beitrag fand ich dann doch ganz interessant:

Diese Studie ist doch nur ein kleiner Baustein in einer ganzen Reihe von Studien und Experimenten die zeigen das die "Liebe" nur dem Zweck der Vermehrung folgt. Die ganzen romantischen Vorstellungen, die sich die Menschheit davon gemacht hat, waren nur Hirngespinste.

Trotzdem kommen noch immer gerade Frauen mit Sprüchen wie "die Chemie muss stimmen", "er muss einfach zu mir passen", "auf die Persönlichkeit kommt es an", "er muss mit beiden Beinen im Leben stehen" usw usw bla bla bla

Viel Spaß noch mit eurem Selbstbetrug, der wird die nächsten Jahre schrittweise demontiert...

Da rollt also noch einiges auf uns zu. Ein paar Seiten weiter wird allerdings dagegengehalten: Ja, und? Ist doch spannend, was unser Körper alles anstellt, um ans Ziel zu gelangen. Deswegen ist doch die Idee einer romantischen Liebe nicht gleich totaler Blödsinn. Dass wir unbemerkt den verschiedensten Signalen folgen ist das Eine - wie wir dann in der Beziehung miteinander umgehen, ob wir z.B. weiterhin allen fremden Reizen folgen oder lieber Abmachungen beherzigen, die eher ethischer als chemischer Natur sind, das können wir immer noch steuern. Dafür sind wir ja vernunftbegabt. Die meisten zumindest.

Nur, was ist, wenn eine neue Studie nahelegt, dass Abmachungen ethischer Natur auch nur romantischer Selbstbetrug sind und auf Chemie beruhen, und die Steuerung durch die Vernunft nur ein weiteres Hirngespinst? Dann geht der ganze Frust wieder von vorne los. Aber vielleicht liegt eine gewisse Romantik dann in der Frage, was sich unser von Mutter Natur geformter 3,5 Milliarden alter Körper für uns ausgedacht hat: Lässt uns der innere Fisch eher auf Mädchen mit feuchten Händen stehen, oder siegt doch der Einzeller mit seinem Sinn für Symmetrien? Es bleibt also spannend...

Mittwoch, 8. Oktober 2008

Begegnung am germanischen Meer

Ende August schrieb ich etwas zu Saurierspuren, die in Bernburg in Sachsen-Anhalt entdeckt wurden. Letzte Woche wurden sie nun der Öffentlichkeit vorgestellt. Während viele Zeitschriften und Internetseiten von einem Sensationsfund berichten, der beweise, dass die Saurier gute 15 Millionen Jahre älter sind als bisher angenommen, scheint der Expertenstreit hinter den Kulissen weiter zu schwelen.

Gefunden wurden die bisher längsten und ältesten Spuren in Europa. "Darunter ist eine rund 25 Meter lange Fährte mit 34 Fuß- und Handabdrücken eines fünf bis sechs Meter langen und 800 Kilogramm schweren Dinosauriers", sagt Cajus Diedrich, Geologe und Paläontologe der Universität Osnabrück. Diedrich vermutet, dass sie von einer drei Meter langen, hochbeinigen Echse hinterlassen wurde, die einem Krokodil ähnelte. Diese Raubsaurierspur wird von einer Fährte eines elefantenfüßigen großen Dinos gekreuzt. Die freigelegte 40 mal 50 Meter große Muschelkalkfläche sei die weltweit größte Fläche aus der Mitteltrias. Durch wüstenartige Bedingungen habe sich das Kalkwatt des germanischen Beckens schnell verfestigt. Da in dem Tagebau auch Knochen von Fischen, Haien und Sauriern gefunden wurden, hofft Diedrich auch Skelletreste des Sauriers zu finden, der im Watt seine Spuren hinterließ.

Der Hallenser Paläontologe Hartmut Haubold hält dagegen und wandte sich an den SPIEGEL: "Ich habe den SPIEGEL selbst informiert, dass es sich bei diesem angeblichen Sensationsfund nur um Effekthascherei handelt." Und: "Diese Spuren sind nicht neuartig, wir kennen bereits vergleichbare. Die nun gesicherten Abdrücke stammen höchstwahrscheinlich von der längst bekannten Echse namens Chirotherium." Haubold weiter: "Das ist etwa so, als würde jemand einen 10 Millionen Jahre alten Stein finden und erklären, das wäre der erste von Menschenhand gemachte Faustkeil. Sensationsmache für eine wirtschaftlich problematische Gegend? Schtonk unter Paläontologen? Wer von beiden recht hat, wird sich hoffentlich bald zeigen. Die kritischen Reaktionen zeigen jedoch, wie stark und wie schnell neue Funde im Lichte etablierter Theorien und Vorstellungen bewertet oder auch abgewertet werden.
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Dinosaurier-Spuren aus Bernburg werden in Halle gezeigt
Dinosaurier sind älter als bislang angenommen